Erst die Bürokratie, dann das Weltverbessern

Von Redaktion · · 2017/06

Viele NGOs erhalten für ihre entwicklungspolitischen Projekte Unterstützung von der EU. Der Weg zur Förderung ist allerdings nicht ohne Hürden. Christina Bell hat recherchiert.

Es erinnert ans Diplomarbeit Schreiben: Dutzende Seiten voller Fachbegriffe, Textstellen, die nach der zehnten Überarbeitung noch nicht zufrieden stellen, sowie Nächte ohne Schlaf und Tage mit umso mehr Arbeitsstunden, je näher die finale Abgabe rückt. Wer schon einmal einen sogenannten Vollantrag auf Förderung eines entwicklungspolitischen Projekts bei der EU-Kommission eingereicht hat, erkennt sich in diesem Szenario wahrscheinlich wieder.

Wochenlang unterhält man sich nur noch in englischen Begriffen, für die man im sonstigen Leben nicht unbedingt Verwendung findet, sowie kryptisch anmutenden Abkürzungen. „Overall goal”, „logical framework”, DEAR, CSO-LA – die Codes vermag nur zu entziffern, wer schon einmal mit entsprechenden Formularen zu tun hatte. Ist das Werk dann endlich vollbracht und der Antrag eingereicht, folgt monatelanges Warten – bis die ersehnte Post aus Brüssel kommt. In der hoffentlich steht, dass das Projekt angenommen wurde. Und man mit der eigentlichen Arbeit beginnen kann.

Chance für alle. Nimmt man die Aktivitäten der Europäischen Kommission und die der EU-Mitgliedsstaaten zusammen, ist die EU größter Geber in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit (EZA). Mit verschiedenen Instrumenten – von humanitären Einsätzen und Nahrungsmittelhilfe über finanzielle und technische Zusammenarbeit bis zu Darlehen der Europäischen Investitionsbank – unterstützt sie rund 160 Partnerländer.

Oft läuft die EZA über NGOs. Förderungen und Zuschüsse geben den Organisationen die Möglichkeit, Projekte umzusetzen, für die Mittel sonst schwer aufzutreiben wären.

Der Fokus reicht von Einkommensschaffung in Guatemala bis zur Bewusstseinsbildung rund um die Herkunft von Schokolade in Belgien oder Österreich. Im Gegensatz zu anderen NGO-Arbeitsfeldern, etwa dem Schutz von Kindern oder der Umwelt, sind solche Themen PrivatspenderInnen nur schwer zu vermitteln. „Die Förderung durch die EU ist für viele österreichische NGOs von sehr großer Bedeutung“, erklärt Annelies Vilim, Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung, des Dachverbands entwicklungspolitischer NGOs in Österreich. „Die Gelder betragen oft ein Vielfaches jener der öffentlichen Stellen in Österreich.“ Gleichzeitig erfüllen die Organisationen laut Vilim eine wichtige Aufgabe: „NGOs unterstützen die EU und ihre Mitgliedstaaten, ihre außenpolitischen Zielsetzungen zu erfüllen.“ Die EU-Kommission sieht das ähnlich: „Zivilgesellschaftliche Organisationen, sowohl in Entwicklungsländern als auch in Europa, gehören für uns zu den wertvollsten Partnern”, so Heinz R. Miko, Pressesprecher der Europäischen Kommission in Österreich. „Durch sie wird Hilfe effizienter und effektiver.”

Ausschreibungs-Dschungel. Voraussetzung, um gefördert zu werden, ist es, die bürokratischen Anforderungen, die die Anträge mit sich bringen, erfüllen zu können. „Für Ansuchen um eine EU-Förderung braucht man als NGO viel Expertise und Ressourcen“, hält Vilim fest. „Es ist eine komplexe Materie, mit unterschiedlichen Calls und Budgetlinien”, sagt auch Stefan Grasgruber-Kerl, Kampagnen-Bereichsleiter bei Südwind. Er hat schon seit mehr als einem Jahrzehnt Anträge selbst verfasst oder koordiniert. Und dabei zunehmende Bürokratisierung beobachtet: „Der Verwaltungsaufwand wird mehr, das Verfahren immer technischer.“

EU als EZA-Akteurin

Die Entwicklungszusammenarbeit ist Teil der EU-Außenhilfe und speist sich einerseits aus dem allgemeinen EU-Haushalt und andererseits aus dem Europäischen Entwicklungsfonds. Für die Umsetzung sind vor allem die Europäische Kommission und ihre Auslandsvertretungen (Delegationen) zuständig. Das Finanzierungsinstrument für die Entwicklungszusammenarbeit (Development Cooperation Instrument, DCI) hat für den Zeitraum 2014 bis 2020 ein Budget von 19,6 Milliarden Euro. Davon entfallen 1,9 Milliarden Euro auf das Programm für Organisationen der Zivilgesellschaft und lokale Behörden (CSO-LA), von denen wiederum das Teilprogramm DEAR (Development Education und Awareness Raising) 210 Millionen Euro für Bewusstseinsbildung in den Mitgliedsstaaten verwaltet.    cbe

Während zunehmend professionelle Consultingfirmen ins Spiel kommen, werde es besonders für kleine NGOs immer schwieriger. Vilim bestätigt das: „Die Anforderungen der Kommission waren schon immer sehr streng. Nun werden aber Mindestförderbeträge immer höher, wodurch kleine und mittlere NGOs oft keine Möglichkeit mehr haben, Projekte zu beantragen.“

Die EU fördert grundsätzlich nicht die gesamten Projektkosten, sondern einen Anteil – mal 75 Prozent, in seltenen Fällen 90 Prozent. Die erforderlichen Eigenmittel wachsen mit den größer werdenden Projekten – für nicht gewinnorientierte Organisationen oft ein nicht unerhebliches Hindernis.

Um den finanziellen Druck von den NGOs zu nehmen oder zumindest zu lindern, bietet hierzulande die Austrian Development Agency für alle entwicklungspolitisch relevanten Budgetlinien eine so genannte EU-Ergänzungsfinanzierung an. Auch hierfür bedarf es eines Antrags und einer mehrwöchigen Wartezeit.

Kleine NGOs benachteiligt. Genügte noch vor wenigen Jahren eine gute Idee, eingereicht von einer Organisation, sei das heute ganz anders, so Grasgruber-Kerl. Die EU bevorzuge zunehmend Konsortien von NGOs aus möglichst vielen Ländern, die gemeinsam große Projekte abwickeln. Der Südwind-Bereichsleiter nennt als Beispiel das Projekt „Change your Shoes“ zu fairen Produktionsbedingungen in der Schuhindustrie, das Südwind leitet. Das Konsortium besteht aus 18 europäischen und drei Partnern aus dem globalen Süden. Koordination, Abrechnung und Berichtslegung alleine benötigen dabei gewaltige Ressourcen.

Auch der Wettkampf wird immer härter: „Die Erfolgschancen sind aufgrund der Vielzahl an Antragstellern relativ gering, selbst wenn alle Anforderungen erfüllt werden“, weiß Vilim. Natürlich gab es über die Jahre auch Verbesserungen: „Die EU-Kommission setzt mittlerweile auf ein zweistufiges Verfahren”, erklärt Grasgruber Kerl. „Das erleichtert unsere Arbeit sehr.“ In einem ersten Schritt wird das Projekt in der so genannten Concept Note kurz skizziert. Ins Detail geht es erst, wenn die EU-Kommission Interesse an der Thematik signalisiert und zum Einreichen des Vollantrags eingeladen hat.

Welche weiteren Verbesserungen würde er sich wünschen? „Schön wäre es, wenn die Ausschreibungen besser planbar wären“, so Grasgruber-Kerl. In der derzeitigen Praxis kämen die „Calls“ immer wieder überraschend, ein Jahr fielen sie aus, dann verzögerten sie sich monatelang. „Außerdem bräuchte es mehr Möglichkeiten, erfolgreiche Projekte weiterzuführen. Derzeit herrscht ein Innovationsdruck, der nicht immer sinnvoll ist.“ Die Laufzeit von Projekten ist meist auf zwei oder drei Jahre beschränkt. Anstatt langfristiger zu Themen arbeiten zu können, müssen die meisten dann beendet und neue eingereicht werden.

Wohin geht’s? Derzeit wird das EZA-Finanzierungsinstrument laut EU-Kommission evaluiert. Bis Anfang Mai lief eine Online-Konsultation für alle Beteiligten, deshalb sei es für einen Ausblick noch zu früh, so Kommissions-Sprecher Miko. Die AG Globale Verantwortung blickt skeptisch in die Zukunft: „Momentan sehen wir die Tendenz, dass entwicklungspolitische Ziele wie Armutsbekämpfung vermehrt dem Thema Migrationsvermeidung untergeordnet werden“, sagt Vilim.

Auch das durch den Brexit verkleinerte EU-Budget könnte Auswirkungen haben. Vielleicht wird es künftig noch schwieriger, einen Brief bzw. eine E-Mail aus Brüssel zu bekommen – zumindest mit positiven Neuigkeiten.

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